Auf Grundlage der ausführlichen Analyse der Hoyerswerdaer GIHK-Werkstatt hat der Kulturfabrik e.V. das Projekt „Stadtteilanker“ entwickelt. In der Analyse ist der erhebliche Rückgang in den Wohngebieten an großen Einrichtungen, Trägern und Vereinen, welche kulturelle oder soziale Angebote regional und überregional vorhalten können, deutlich geworden. Dennoch gibt es…
Projekte Archiv: 2008 – Anthro-Camp
AnthroCamp 2008
Einladung zur Entdeckung der eigenen Welt
In den Herbstferien findet in der Dürerstraße ein Anthropologie-Camp statt. Nach einer Idee des Anthropologen Felix Ringel, der derzeit hier für seine Doktorarbeit forscht, sollen sich Menschen mit ihrer sozialen Umgebung beschäftigen. Unterstützt wird die Aktion unter anderem durch die KulturFabrik. Wir sprachen dazu mit Steffi Schneider und Felix Ringel.
Wie erklärt ein Anthropologe ein Anthrocamp?
Felix Ringel: Es geht darum, dass Menschen aus der Stadt oder der Region sich eine Woche Zeit nehmen, ihre Stadt oder Region neu zu entdecken. Wir werden mit den Methoden der Anthropologie versuchen, ein kleines Forschungsprojekt zu entwickeln, das mindestens über drei Tage durchzuführen und danach auszuwerten.
Woher kam die Idee?
Steffi Schneider: Sie ist gemeinschaftlich entstanden. Felix hat schon länger den Gedanken gehabt, die Möglichkeit zu geben, auch mal von außen auf die Stadt zu schauen. Wir haben dann gemeinsam die Umsetzung beschlossen, weil es etwas ist, was wir ganz spannend finden.
Felix Ringel: Ich versuche in meinem Forschungsprogramm ganz bewusst die Brücke zurückzuschlagen. So ein Camp ist eine Möglichkeit zu sagen, was mach’ ich eigentlich hier. Das fragen mich die Leute sehr oft.
Wie wird das Camp ablaufen?
Steffi Schneider: Wir werden mit einer Einführung beginnen, in der Felix über die Methoden der Anthropologie spricht, werden aber nicht das Forschungsthema vorwegnehmen. Das müssen sich die Teilnehmer selbst suchen. Sie werden dazu drei Tage ihre eigenen Recherchen machen und abschließend aufbereiten. Am Samstag findet eine Abschlussveranstaltung statt, die auch öffentlich sein wird.
Was könnte man denn erforschen?
Felix Ringel: Der Anthropologie sind keine Grenzen gesetzt. Das kann eine Studie des eigenen Freundeskreises sein, oder die Arbeit der Stadtverwaltung sein, dass man drei Tage lang versucht, mit Leuten ins Gespräch zu kommen und rauszubekommen, was sie bedrückt oder nicht. Das kann aber auch das Leben von Senioren sein.
Ist das Camp eher für jüngere oder ältere Leute?
Steffi Schneider: Es ist für alle Generationen. Da es in den Ferien stattfindet, richtet es sich verstärkt an Jugendliche ab 14 Jahre, aber auch alle anderen, die willens sind, eine Woche in einer leeren Wohnung im WK X zu „hausen“, sind eingeladen.
Das heißt, man bleibt dort auch über Nacht?
Felix Ringel: Der Anthropologe muss raus aus seiner normalen Welt. Es geht nicht, dass er abends nach Hause geht und den Fernseher anschaltet. Man muss die Grenze ziehen zwischen dem, was man normalerweise macht und dem, was das Camp ausmacht. Die LebensRäume waren so freundlich uns die vier Wohnungen in der Dürerstraße zur Verfügung zu stellen. Zum Forschen gehen die Leute natürlich raus, dass kann natürlich auch nachts sein, je nachdem was sie sich für ein Forschungsprojekt suchen.
Was sollen sie nach der Woche „mit nach Hause nehmen“?
Felix Ringel: Die Teilnehmer nehmen eine neue Perspektive mit. Sie lernen wissenschaftliche Methoden kennen und natürliche neue Bekanntschaften.
Gespräch: Hagen Linke
Sächsische Zeitung
Dienstag, 21. Oktober 2008
Vier leere Wohnungen dienen in Hoyerswerda noch als Denkfabrik
Von Mirko Kolodziej16 junge Leute lernen in dieser Woche in einem dem Abriss geweihten Haus im WK X, wie Wissenschaftler Menschen erforschen.
Erste Erkenntnis: In so ein handelsübliches Plattenbau-Wohnzimmer im Hoyerswerdaer WK X passen locker 50 Menschen. Es wurde aber doch recht eng, als der wortgewaltige Richard Leue am Sonntagabend in Wohnung 0202 des Aufgangs Nummer vier der Albrecht-Dürer-Straße sein Hörspiel „Die Tunnel von Hoyerswalde“ vorstellte. In dem 50-Minuten-Stück verschlägt es einen Privatdetektiv in die Lausitz. Es geht unter anderem um ein Tunnelsystem unter dem Marktplatz mit Einstieg in einem Trachtenhaus, um eine von Konrad Zuse erfundene Zeitmaschine und um einen Studenten der Anthropologie, dessen typisches Markenzeichen ein Notizbuch ist.Denken neu lernen
Wenigstens der Wissenschaftler hat ein reales Vorbild, das TAGEBLATT-Lesern nicht unbekannt sein dürfte. Felix Ringel forscht seit Januar in der Stadt für seine Doktor-Arbeit und schreibt jeden Montag eine Kolumne. In dieser Woche gibt er sein Handwerkszeug weiter. Gemeinsam mit der KulturFabrik hat er zum Anthropologie-Camp in den WK X eingeladen. 16 Jugendliche zwischen 14 und 22 sind am Sonntag in die Albrecht-Dürer-Straße gezogen. Was sie bei ihm lernen sollen, sagt Ringel zunächst ganz knapp: „Denken!“ Dann erklärt er, es gehe darum, einen neuen Blick auf die Stadt zu bekommen. Vier leer stehende Wohnungen hat die LebensRäume-Genossenschaft zur Verfügung gestellt. Drei davon dienen als Schlaf-Lager. Die Jung-Wissenschaftler ruhen auf Turnmatten, die das Lessing-Gymnasium spendiert hat. Wohnung 0202 ist sozusagen das Basislager. „Think Tank“ steht an der Wand. Das englische Wort wird gern mit „Denkfabrik“ übersetzt. Es gibt einen kleinen Film-Vorführ-Raum, ein Büro mit Hand-Bibliothek, einen Speiseraum und das Wohnzimmer. „Die Gedanken bleiben frei“, hat jemand an die Wand geschrieben. Jeden Abend wird es hier einen hoffentlich spannenden Vortrag geben. Vorgestern kam der 21-jährige Richard Leue mit seinem Hörspiel und brachte viele Gäste mit.Jeweils 9 Uhr und 14 Uhr beginnen die Nachwuchs-Anthropologen im Wohnzimmer ihre tägliche Forschungsarbeit mit Seminaren. Dann geht es in die Stadt hinaus, Felix Ringel würde sagen „ins Feld“. Schließlich heißt das, was er in Hoyerswerda tut „Feldforschung“. Am Sonnabend werden seine Schüler ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit präsentieren. Sie wissen ja nun schon, wie viel Platz sie dazu im Wohnzimmer haben.
Unten im Treppenflur hängt ein Zettel für die Nachbarn. „Natürlich werden wir uns bemühen, uns an alle Regeln des Hauses zu halten“, steht darauf. Es gibt allerdings nur noch drei dauerhaft bewohnte Apartments. „Nächstes Jahr im Juli wird hier abgerissen“, sagt Mieterin Annett Hein. Ihr Sohn Leon und seine Mitschüler haben vor ein paar Tagen die Wände eines Zimmers im Camp bemalt. Leon zeichnete eines der Hochhäuser an der Bautzener Allee. In seiner Nähe wird er bald leben. Womöglich ist sein Empfinden ja ein Forschungsfeld für die Nachwuchs-Anthropologen.
Samstag, 25. Oktober 2008
Mit einer Menge Geistes-Energie zu neuen Erkenntnissen gelangt
Von Mirko KolodziejDie Nachwuchs-Forscher im Anthropologie-Camp stellen heute die Ergebnisse ihrer Arbeit öffentlich vor.
Wenn Annegret und Johanna Krupka, Sophie Röhrig, Anne Sniegocki sowie Inge Williams heute am frühen Abend im Anthropologie-Camp in der Dürerstraße 4 über Armut in Hoyerswerda sprechen, können sie aus Erfahrung schöpfen. Sie haben in dieser Woche das Sozialkaufhaus im WK IV besucht, waren bei der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsförderung (Arge) und bei der Tafel im WK VII. „Armut ist ein relativer Begriff“, sagt Annegret. „Armut ist, nicht am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können“, sagt Inge. So funktioniert Anthropologie: hingehen, beobachten, fragen, Schlussfolgerungen ziehen. „Die stecken hier echt Geistes-Energie ´rein“, sagt Anthropologe Felix Ringel stolz über seine jungen Kollegen.Am Donnerstag hatten sie sich einen Armuts-Experten ins Camp eingeladen. Horst Pink ist Projektleiter der Tafel im „Haus Lichtblick“ in der Hutten-Straße, die Arme kostenlos mit gespendeten Lebensmitteln versorgt. Sie funktioniert inzwischen ähnlich wie ein Theater-Anrecht. Man braucht einen Platz auf einer Liste, um sich mittwochs und freitags im WK VII anstellen zu dürfen. Es gibt mittlerweile einfach zu viele Bedürftige und zu wenige Spenden. „Der Zulauf wird mehr statt weniger“, sagt Horst Pink. Er selbst stammt eigentlich vom Bau. Seine Stelle bei der Tafel ist eine „Strukturanpassungsmaßnahme“, eine öffentlich geförderte Beschäftigung. Im nächsten Monat läuft der Vertrag aus. „Ich weiß nicht, was dann aus mir wird“, sagt Pink. Felix Ringels Frage, ob er sich selbst bei der Tafel anstellen würde, war nicht an den Haaren herbei gezogen.
Verzweiflung gespürt
„Teilnehmende Beobachtung“ heißt das anthropologische Konzept, das die jungen Forscherinnen aus dem Armuts-Projekt bei der Tafel ausprobiert haben. „Die meisten sind recht verzweifelt“, sagt Sophie über die Tafel-Klienten. Sie hätte das wohl ohne das Camp nicht so unvermittelt herausbekommen. „Sie können halt mit Leuten sprechen, die sie sonst nicht als Gesprächspartner haben“, erklärt Camp-Leiterin Steffi Schneider vom Veranstalter, der KulturFabrik. Felix Ringel und sie hatten in dieser Woche eine Menge an Führungen durch die vier vom Camp belegten Wohnungen in der Dürer-Straße zu absolvieren. Es waren reichlich Gäste da. Heute soll die temporäre Denkfabrik im WK X noch einmal richtig voll werden. „Es lohnt wegen der Räume, wegen der Atmosphäre und natürlich wegen der Leute“, findet Felix Ringel.Die Abschluss-Präsentation der Forschungen dieser Woche beginnt heute um 17 Uhr im Camp in der Albrecht-Dürer-Straße 4.